Aufstieg und Fall großer Experten
Der Kinderpsychiater Michael Winterhoff galt einmal als „Erziehungsberater der Nation“, obwohl seine Thesen in der Fachwelt hochumstritten sind. Jetzt wird ihm vor Gericht gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Welche Rolle spielen in dieser Geschichte die Medien, die Winterhoff jahrelang geradezu hofierten?
Exklusiv für Übonnenten

In der vorigen Ausgabe dieser Kolumne hatte ich den Fall des Psychiaters Michael Winterhoff bereits kurz erwähnt. Gegen ihn läuft derzeit am Landgericht Bonn ein Prozess wegen gefährlicher Körperverletzung. Unter anderem soll er zahlreiche Kinder auf eine nachhaltig schädliche Art medikamentös behandelt haben.
Über den Fall wurde viel berichtet. So lief etwa in der ARD die Dokumentation „Der Kinderpsychiater – Die Macht des Dr. Winterhoff“, in der auch zahlreiche der Opfer zu Wort kommen. Sie berichten davon, in den von Winterhoff mitbetreuten Einrichtungen auf eine gewaltvolle Art behandelt worden zu sein. Viele lei…
Da ist so viel Wahres drin, sehr lesenswerter Artikel. Danke.
Danke für den Artikel, dem ich vollendst zustimme! Das ist ein sehr zentrales Thema, für das es vermutlich viele weitere auch sehr bedrückende Beispiele gibt: Und natürlich tragen Medien hier eine ganz entscheidende Mitverantwortung, was für Talkshows gilt, ebenso wie die Wahl von Interviewpartnern in Reportagen, O-Tönen auf der Straße usw…
Und hin und wieder hat man eben schon den Eindruck, dass Person A oder B eher ausgewählt wurde, weil die Zitate knalliger sind und nicht, weil sie wirklich Expertise oder eine differenzierte Meinung mit sich bringt…
„Es reicht nicht aus, eine Figur, die man mit großem Aufwand selbst aufgebaut hat, nun wiederum spektakulär abzureißen und weiterzuziehen. Ansonsten werden nur die Figuren, die man erst als Helden aufgebaut hat, ein zweites Mal als Schurken narrativ abgefrühstückt, während schon der nächste „Experte“ für das Diskurstheater aufgebaut wird.“
> auf den Punkt getroffen!
Ich hoffe, Übermedien und andere MedienjournalistInnen bleiben an dem Thema dran, vielleicht kann man dann ja sogar bereits begründete Kritik an dem einen oder der anderen ExpertIn anbringen, noch während die Person für das Diskurstheater aufgebaut wird. So ließe sich das Leid von Betroffenen verhindern und im Idealfall findet irgendwann mal ein Umdenken bei den Verantwortlichen statt…
Das ist nur eines von leider sehr vielen Beispielen dafür, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk inzwischen weitestgehend besinnungslos den Mechanismen bzw. Automatismen ausliefert, die den „Diskurs“ im durchkommerzialisierten Markt der elektronischen Medien bestimmen. Für diese Art des Eventjournalismus zählen allein Quote und Klickzahlen. Dabei wäre es seine Aufgabe, stets die Metaebene in den Vordergrund zu rücken und sowohl aktuelle wie auch – erst recht – langfristige (Klimakatastrophe!) Entwicklungen zu reflektieren, also gründlich und argumentativ differenziert aufzubereiten und einzuordnen. Dies kann und muss in jedem beliebigen Format (aktuelles Magazin, Talkshow, Reportage etc.) und laufend bzw. nachhaltig stattfinden und darf sich nicht auf gelegentliche Dokumentationen wie im Falle Winterhoff beschränken, die ohnehin mittlerweile viel zu selten produziert und zudem im Zweifel in den Programmnischen versteckt werden, wo sie dann kaum Resonanz finden. Dieses journalistische Grundverständnis ist leider sowohl der ARD (kein Wunder bei einer Programmdirektorin, die zuvor die Spielfilmtochter Degeto geführt hat) bzw. den Landesrundfunkanstalten (siehe deren verflachte „Dritte“ Fernsehprogramme sowie vor allem die meisten Hörfunkwellen) als auch dem ZDF (Tiefpunkt: Precht und Lanz) weitestgehend abhanden gekommen.